Wie aus einem unscheinbaren Haus ein stadtpolitisches Symbol wurde.
Am 3. Februar 2011. In ganz Friedrichshain gibt es keinen einzigen Bankautomaten ohne kaputte Scheiben mehr. Hier und da glimmen noch Reste abgebrannter Mülltonnen vor sich hin. In der Rigaer Straße und in der Liebigstraße immer noch jede Menge Polizei. Was ist geschehen?
Am Vortag hatte die Polizei die Liebigstraße 14 geräumt. Etwa 2000 Beamte waren nötig um etwa 25 Leute aus dem Haus zu räumen. Schon um 6 Uhr morgens wurde die Kreuzung Rigaer Ecke Liebig (der „Dorfplatz“) freigeräumt.
Es dauerte jedoch bis zum Mittag, bis die letzte Bewohner*in aus dem Haus geschliffen worden war, umgeben von Menschen, Chaos, Blaulicht und Prügel. In den Abendstunden eine Demo mit mehreren tausend Teilnehmenden, so wütend, wie sie Friedrichshain lange nicht gesehen hatte.
Dabei war die Liebig 14 doch so ein unscheinbares Haus gewesen, hatte früh Verträge abgeschlossen und trat als Haus kaum nach außen, obwohl die heterogen zusammengesetzte und internationale Hausgemeinschaft mitnichten unpolitisch war. In den 20 Jahren ihrer Existenz tauschte sich langsam aber sicher die Bewohner*innenschaft aus, die Vertragsinhaber*innen der Einzelmietverträge hielten diese aber zuverlässig fest. Auch der neue Eigentümer Suitbert Beulker, der die ganze Straßenecke um die Jahrtausendwende erwarb, änderte an der stillen und genügsamen Existenz der Liebig 14 vorerst nichts – er legte sich anfangs eher mit der benachbarten Rigaer 94 an.
Das hätte so weitergehen können, wenn nicht Beulker eine Zwischentür ausgebaut, die Hausbewohner*innen diese Tür nicht wieder eingebaut und Beulker im juristischen Nachgang nicht Glück gehabt hätte. So aber wurde aus einem Verfahren, bei dem die Bewohner*innen davon ausgingen, dass das mal wieder ein fruchtloser nervender Versuch des Eigentümers sein würde, das Wohnen ungemütlich zu machen, das Verfahren, bei dem die Liebig 14 alle Verträge verlor.
Die Liebig 14 versuchte sich in den folgenden drei Jahren stadtpolitisch wie juristisch gegen die drohende Räumung zu wehren. Runde Tische wechselten sich mit militanten Aktionen oder satirischen Aktionen auf der Straße ab – eine eher seltene Kombination, bei der die Heterogenität der Bewohner*innenschaft hilfreich war. Diese wurde auch immer professioneller im Organisieren von Solipartys, die angesichts der Kosten beinahe fließbandmäßig abgewickelt werden mussten. Das alles kulminierte in einem elftägigen Antiräumungsfestival mit über 100 Bands (von Klassik bis Crustpunk), Lesungen, Vorträgen, Elektropartys auf drei Etagen im Haus und anderen Orten.
Auf diesem Wege wurde aus einem eher unscheinbaren legalisierten Haus ein stadtpolitisches Symbol. Deshalb waren ein Jahr nach dem Festival nicht nur die Scheiben einiger Bankautomaten kaputt – es gab Solidemos und Aktionen in den meisten Mittelstädten in Deutschland und darüber hinaus. So demonstrierten 300 Leute in Kopenhagen und in Tel Aviv protestierten 20 Personen mit Transparenten vor der deutschen Botschaft.
Mit der Räumung hat die Liebig 14 den konkreten Kampf verloren. Der vehemente Widerstand gegen die Räumung hat aber vermutlich dem ein Jahr später bedrohten Schokoladen geholfen, doch noch ein Verhandlungsergebnis zu erstreiten. Außerdem gingen einige Impulse aus der Liebig 14 auch in Richtung der in sich in den frühen 2010ern neu formierenden Mieter*innenbewegung. Auch deswegen hat es sich gelohnt, nicht einfach klein beizugeben.
L14 NEVER R.I.P.!