Geschichte der Haus- und Flächenbesetzungen in Berlin

Seit 1970 wurden in Berlin in West und Ost mehr als 630 Häuser und Wagenplätze besetzt, in etwa 200 Fällen gelang es den Besetzer*innen, ihre Projekte zu legalisieren. Hinzu kommen gegenwärtig zahlreiche öffentliche Plätze und Brachen, die von Urban Gardenern in Besitz genommen wurden.
Die Gründe von Besetzungen sind vielfältig. Immer ging und geht es um Freiräume, um gemeinsame Orte des Zusammenseins, des Gestaltens und Experimentierens, um Freiräume, die es im Umfeld nicht oder allenfalls nur für hohe Mieten gibt. Im Normalfall können sich junge Leute diese nicht leisten. Wohnungsbedarf ist selbstverständlich auch ein Grund.
Besetzungen haben größere Aussicht auf Erfolg, wenn sie nicht nur von einer sozialen oder politischen Gruppe durchgeführt, getragen und unterstützt werden, sondern wenn Menschen aus ganz unterschiedlichen Herkommen und Gründen zu einer Bewegung zusammen kommen.
Entsprechend der verschiedenen Bedürfnisse muss es auch unterschiedliche Nöte geben, die Menschen dazu bewegen, sich selbst zu ermächtigen, um den Schritt der Besetzung zu gehen. Hohe Mieten, spekulativer oder schlecht organisierter Leerstand, zu wenig kommunale soziale oder kulturelle Einrichtungen für wenig oder kein Geld begünstigen dies. In diesen Fällen toleriert auch die Öffentlichkeit weitgehend die Besetzer*innen, weil sie ihre Aktionen für legitim hält.
Anfang der 1970er Jahre waren Besetzer Jungarbeiter*innen, Arbeitslose, Trebergänger*innen, ehemalige Heimbewohner und Student*innen. Etwa 100 von ihnen besetzten am 1. Mai 1970 eine Fabriketage im Märkischen Viertel mit dem Ziel, dort ein selbst organisiertes Kinder- und Jugendzentrum einzurichten. Das Gebäude wurde noch am gleichen Tag von der Polizei geräumt. Ähnlich ging es am 3. Juli 1971 den Jugendlichen, die am Mariannenplatz 13 zwei Fabriketagen mit dem Ziel besetzten, ein Jugend- und Lehrlingszentrum einzurichten. 76 Personen wurden verhaftet. Das am 8.Dezember 1971 besetzte Georg-von-Rauch-Haus am Mariannenplatz gilt als das am längsten legalisierte Haus.

In Hausprojekten Mitunter mit größter Sorgfalt gestylt: das Gemeinschaftsklo. Rigaer Straße 80, 1991. Foto: Marco Krojač
In Hausprojekten Mitunter mit größter Sorgfalt gestylt: das Gemeinschaftsklo. Rigaer Straße 80, 1991.
Foto: Marco Krojač

1980/81

Ab 1980/81 engagierten sich noch weitere Gruppen bei Besetzungen: Frauen- und Lesbengruppen, Öko-Bewegte, Anti-AKW- und Friedensbewegte, Gruppen der internationalen Solidarität, wie etwa solche, die die sandinistische Revolution in Nicaragua 1979 unterstützen, aber auch Autonome und Punks.
Sie knüpften Netzwerke einer eigenen Kultur, orientierten sich an alternativen ökonomischen, politischen und hierarchiefreien Konzepten, gründeten Kollektivbetriebe, probierten aber auch Widerstandsformen wie zivilen Ungehorsam aus. Hintergrund war die verfehlte Wohnungs und Stadtplanungspolitik des (West) Berliner Senats, die zu spekulativem Leerstand und zahlreichen Abrissen von Wohnhäusern in einer Zeit der Wohnungsknappheit führte.
Einzudämmen versuchte der Berliner Senat die Besetzungen durch die Berliner Linie, die besagt, dass nach ihrer Verkündung jedes neu besetzte Haus binnen 24 Stunden geräumt wird. Dennoch war die Berliner Politik jahrelang von großen Solidaritätsdemonstrationen mit bis zu 20.000 Leuten geprägt, die mit gewaltfreien aber auch militanten Aktionen auf die Straße gingen. Dies führte einerseits zu einer Kriminalisierung der Bewegung mit etlichen Festnahmen, Ermittlungsverfahren, Haftstrafen und am 22. September 1981 mit Klaus-Jürgen Rattay zu einem Todesfall infolge eines Polizeieinsatzes nach der Räumung von 8 Häusern.
Andererseits gelang es den Besetzer*innen etwa 100 Häuser von den 200 besetzten zu legalisieren. Ab 1981 kam es auch zunehmend zur Besetzung von Wagenplätzen, von denen etwa 20 ihre Existenz sichern konnten.

Einfach gemütlich machen. Wagenburg an der Spree. Foto: Umbruch-Archiv
Einfach gemütlich machen. Wagenburg an der Spree.
Foto: Umbruch-Archiv

1989/90

Im Zuge des gesellschaftlichen Aufbruchs der DDR-Bevölkerung im Herbst 1989 besetzten Menschen öffentliche Plätze, Dienststellen des MfS und Betriebe. Bis Mitte 1990 wurden auch 130 überwiegend komplett leer stehende Häuser und zahllose leerstehende Geschäfte in (Ost) Berlin besetzt und zu soziokulturellen Zentren erklärt. Wieder kamen ganz unterschiedliche Gruppe zum Zuge: Angehörige von DDR-Friedens-Umwelt- und Menschenrechtsgruppen, Student*innen, Frauen, Lesben/Schwulengruppen, Gruppen, die sich mit emanzipatorischen Bewegungen der Dritten Welt solidarisierten, Punks, Autonome, Künstler*innen. Den Besetzer*innen von etwa 100 Häusern schlossen Verträge ab und setzten damit ihre Legalisierung durch. Auch hier wurde die Berliner Linie verkündet. Konflikte nach der Räumung eines danach besetzten Hauses in Lichtenberg eskalierten und führten letztendlich zur gewaltsamen Räumung der Häuser Mainzer Straße 2–11 am 14. November 1990 nach massivem Widerstand von Besetzer*innen und Unterstützer*innen. In diesem Konflikt hatten sich leider die Betonköpfe beider Seiten durchgesetzt. Dies war ein wesentlicher Einschnitt in der Geschichte der Berliner Besetzer*innenbewegung.

Kommunikation, Essen, Trinken, Abhängen, Pläne schmieden, Streiten, Lachen ... Jessner Straße, 1993. Foto: Marco Krojač
Kommunikation, Essen, Trinken, Abhängen, Pläne schmieden, Streiten, Lachen …
Jessner Straße, 1993.
Foto: Marco Krojač

Gegenwart

Nach der Räumungswelle von Häusern und Wagenplätzen durch Innensenator Jörg Schönbohm Mitte der 1990er Jahre, besetzen nur sehr vereinzelt Enthusiast*innen Häuser.
Eine gelungene Besetzung fand 2005 im Haus Bethanien durch die aus der Yorckstraße geräumte Gruppe statt, die hier das New Yorck gründete und legalisierte.
Infolge von Protesten gegen die Verdrängung von Menschen durch Mieterhöhungen kam es in Berlin erneut zu wiederholten Besetzungen von Häusern und Plätzen, die oft auch von Gruppen außerhalb der „klassischen“ Besetzer*innenszene getragen wurden, etwa durch Anwohner*innen am Kottbusser Tor, Geflüchteten und illegalisierten Migrant*innen, durch Senior*innen in der Stillen Straße in Pankow oder durch Besetzer*innen der Cuvrybrache.

Der Tisch in der Küche ist ein zentraler Ort des Zusammenlebens. In der Installation der Ausstellung „Häuser besetzen sowieso“ nimmt er daher auch den wichtigsten Platz ein. Foto: Giovanni Lo Curto
Der Tisch in der Küche ist ein zentraler Ort des Zusammenlebens. In der Installation der Ausstellung „Häuser besetzen sowieso“ nimmt er daher auch den wichtigsten Platz ein.
Foto: Giovanni Lo Curto

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